Januar 2025
„Tausendjährige Dome werden abgebrochen und Kaiserstühle in die Rumpelkammer geworfen“, klagt der Harz-Wanderer Heinrich Heine 1824 bei einem Besuch der ehemaligen Kaiserpfalz Goslar. Ein gutes Jahrhundert später klagt der Schriftsteller Werner Bergengruen (1892-1964) bei seinem Besuch der Stadt Saalfeld, der „im Sinne der Geschichte ansehnlichsten und reichsten“ thüringischen Stadt, dass der Schlüssel der zur Ruine gewordenen früher mächtigen Burg „Hoher Schwarm“ im Armenhaus abgeholt werden muss. Heute ist der „Hohe Schwarm“ in der vor allem wegen ihrer zauberhaften „Feengrotten“ bekannten Stadt jedem Besucher kostenlos und „ohne Schlüssel“ zugänglich. Unser Bild zeigt die noch immer hoch aufragende Burgruine, wie sie wohl auch der Deutschland-Reisende Werner Bergengruen 1933 in Augenschein genommen haben wird. Foto: Saalfelder Feengrotten und Tourismus GmbH.
Literaturlandschaften e.V.
Von allen thüringischen Städten ist Saalfeld vielleicht die ansehnlichste und reichste im Sinne der Geschichte und ihrer steinernen Zeugnisse. Es hat früh Wohlstand gewonnen durch seinen Bergbau und durch seine Lage an der Straße von Nürnberg nach Leipzig, früh Bedeutsamkeit erlangt durch den Erzbischof Anno von Köln und seine Klostergründung, durch Kaiserpfalz und Reichstage. Die Pfalzruine, der „Hohe Schwarm“ genannt, ist von schwermütiger Schönheit. Eine Weile hat man in ihr eine alte Sorbenburg erkennen wollen, denn das Saaletal ist ja ein Boden der Berührung deutscher und slawischer Bewohnerschaften gewesen. Volkstümliche Sagen leiten den eigenartigen Namen von einem Bienen- oder Taubenschwarm ab, durch den der Fürst auf der Suche nach einem Bauort sich die Stelle habe weisen lassen. Die zwei schlanken und düsteren Türme ragen am Stadtrand über Gärten und Nachbargebäude. Ich möchte näher hinzutreten und gewahre ein Schild mit der Mitteilung: „Der Schlüssel zur Ruine befindet sich im Armenhaus.“ Das ist der Lauf der Dinge: Diese Burg hat die Marken des Reiches abgeschirmt, hat Kaiser und Reichstage in ihren Mauern beherbergt, und sie haben Jahrhunderte aufrecht gestanden in Ehren, Glanz und Lebendigkeit. Und nun ist es dahin gekommen, daß der Schlüssel des Kaiserschlosses im Armenhaus erbeten werden muß.
(Werner Bergengruen, Deutsche Reise, 1933/34)