Oktober 2024
Es war wohl gerade der Verlust der Heimat, was den Lyriker Theodor Storm in die Lage versetzte, der deutschen Sprache einige ihrer schönsten Gedichte zu schenken. Der unter feindlicher dänischer Herrschaft zunächst ins preußische Potsdam verschlagene Husumer Jurist (auch deutsche Juristen benötigen im Laufe der Geschichte gelegentlich Asyl) kommentierte die Entstehung des Gedichts in einem Brief an den Vater: „… es ist eben das Geheimnis der Heimat, sie können’s so toll gar nicht treiben, daß ich das Gefühl verlöre, diese Erde sei dennoch mein.“ Und in einem Brief an den befreundeten Dichterkollegen Eduard Mörike heißt es: „Wie oft, wenn ich an stillen Herbstabenden aus meiner Hoftür und in meinen Garten trat, hörte ich in der Ferne das Kochen des Meeres. Und wie liebte ich das! Schon damals; und erst jetzt!“ Foto: Abendstimmung an der Nordseeküste bei Husum, Dr. Gunhild Schöler.
Literaturlandschaften e.V.
Meeresstrand
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
Theodor Storm (1817–1888), entstanden 1854 im Potsdamer Exil.