September 2023
Wie launisch die Zeitgeschichte mit ihren Ehrenbezeigungen in Form von Denkmälern, Gebäuden oder Straßennamen umspringt, beweist in der Klassikerstadt Weimar auch das heute als „Grand Hotel Russischer Hof“ firmierende Traditionshotel. Der Absender der historischen Postkarte vom 27. August 1914 sieht sich schon nach wenigen Wochen Krieg mit dem jetzt feindlichen Russland veranlasst, die erworbene Postkarte zu korrigieren. Wenig später prangt der neue Name „Fürstenhof“ auch an der Fassade. Er hält sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem ein „Russischer Hof“ in Weimar wieder höchst willkommen ist. Einen historischen Gastbericht aus der Zeit freundlicher deutsch-russischer Beziehungen, wenn auch „eiskalter Art“, verdanken wir dem Dichter Iwan Turgenjew (1818-1883). Foto: Literaturlandschaften, Sammlung Historische Postkarten.

Literaturlandschaften e.V.
An Ludwig Pietsch (Berlin), Weimar, Hôtel de Russie, Sonntag, 13. Februar 1870.
„Lieber Pietsch, die ganze Familie ist hier seit einigen Tagen – und friert! Friert ganz erbärmlich! Die Kälte ist schneidend – die Häuser in Weimar sind aus alten Kartonbogen gebaut und mit altem Speichel karg zusammengekittet. – In meinem Zimmer kann ich trotz rasender, anhaltender Heizung nicht über 7 Grad bekommen! Nachts friert das Wasser in den Gläsern, und ich erwache mit Eiszapfen am Bart. Der einzige Gedanke – ist Feuer, Feuer, Wärme! Alle haben den Schnupfen, husten sprechen mit rauhen, tiefen Baßstimmen. – Alle tragen alle ihre Sachen auf einmal auf dem Leib, sehen sich mit stieren, verglasten Blicken an – und die Idee, in derselben Stadt zu wohnen, wo das edle Dichterpaar wirkte – hat absolut keinen Wert und übt nicht den mindesten Einfluß auf das Gemüt! Ja, man fühlt sich zur Vermutung geneigt, die beiden dicken bronzenen Herren da vor dem Theater können wohl durch ihre Mentalität die Kälte noch vergrößern – und ein geheimer Ingrimm überschleicht das Herz! – Eine Ursache mehr – dem Goethe sein Übersiedeln nach Weimar nicht zu verzeihen! – An keine Arbeit ist natürlich nicht zu denken! … Auf meinem Olymp herrschen jetzt nur Jupiter-Husten, Juno-Halsbräune, Apollo-Schnupfen und Venus-Bronchitis! Amor ist ein kleiner Eisbär – und macht Purzelbäume im Schnee!“