Juni 2025

Hinter den großen Romanen „Sternstunden der Menschheit“ (1927),  „Schachnovelle“ (1942) und „Die Welt von Gestern“ (1942) sind aus dem umfangreichen Werk des leidenschaftlich reisenden Weltbürgers Stefan Zweig auch seine Gedichte ein wenig in Vergessenheit geraten. So sein 1906 im Insel-Verlag erschienener Gedichtband „Die Frühen Kränze“ mit lyrischen Würdigungen vieler europäischer Kulturstädte und –landschaften. Unter dem Titel „Stadt am See“ setzte Stefan Zweig in dem Gedichtband auch Konstanz mit der im Sonnenuntergang „dunklen Silhouette“ ein lyrisches Denkmal. Unser Bild zeigt das Konstanzer Münster mit der untergehenden Sonne. Foto: © MTK / Helmut Bär.

 

Literaturlandschaften e.V.

Stadt am See

Schon fern in dämmernder Verschönung
die ernste Linie einer deutschen Stadt,
geschmiegt in Wolken von so zarter Tönung,
wie sie allein der Juniabend hat.

Im Uferpark Musik aus dunklen Lauben,
ein Lied: kennst du das alte Lied nicht mehr?
So lieb, so trüb wie Saft aus schweren Trauben
Ganz langsam quillt das Lied die Wellen her.

Da klingt dein Herz, als ob es Heimweh hätte,
und sieht doch diese Stadt zum ersten Mal,
zum ersten Mal die dunkle Silhouette,
die schlafend lehnt im fahlen Mondenstrahl. 

Stefan Zweig (1881–1942)