Oktober 2025

Lange vor der heute von pausenlosem Verkehr frequentierten Brücke (im Bild links zu sehen!) nutzen Reisende in unterschiedlichster Mission bei Höxter den Übergang über die Weser. Schon Drusus soll im Jahr 9 v. Chr. bei seinem Feldzug gegen die Cherusker hier über die Weser gezogen sein, ebenso vermutlich Karl der Große 772 bei seinen Missionskriegszügen nach Thüringen und Sachsen. Die im Laufe der Jahrhunderte über die Brücke rückenden Heere brachten für die vielfach blühende Stadt in der Regel jedoch nichts als Tod und Zerstörung. Am schlimmsten 1634 im 30-jährigen Krieg, als unter dem kaiserlichen Feldherrn v. Glenn so viele Einwohner dem sog. „Höxterschen Blutbad“ zum Opfer fielen, dass sich die Einwohnerzahl der Stadt jahrhundertelang nicht wieder erholte. Und natürlich gehörte das Zerstören der Weser-Brücke häufig zum letzten Akt der sich zurückziehenden Soldateska. Mit der Schilderung einer solchen brückenlosen Zeit nach dem Abzug einer französischen Garnison im November 1763 beginnt auch Wilhelm Raabes historische Erzählung „Höxter und Corvey“. Unser Bild zeigt die beiden dem karolingischen Westwerk des Klosters Corvey nachgebildeten Türme der St. Kiliani-Kirche sowie rechts den hellen Turm der St. Nikolai-Kirche inmitten der historischen Altstadt, die trotz aller herausfordernden Historie sich nach wie vor als ein Juwel der Weserrenaissance präsentiert.
Foto: Weserübergang mit Stadtpanorama; © Stadt Höxter, D. Ketz. 

Literaturlandschaften e.V.

 „Wo die Brücke geblieben ist, kann ich mir schon deuten“, sagte der Bruder Henricus kopfschüttelnd. „Ein Ärgernis ist es aber doch!“ fügte er hinzu, die Hand über die Augen legend und nach der Fähre ausschauend. Er hatte noch zu warten; denn der Fährmann drüben zu Höxter beeilte sich des einzelnen Fahrgastes wegen nicht. Faul hingestreckt lag er neben der Wölbung des Brückentors auf seiner Bank und wartete auch; nämlich auf die Ansammlung mehrerer Leute drüben am Braunschweigischen Ufer.

Endlich kam der zweite Fahrgast. Diesmal ein altes Weibchen, das auf dem Schifferpfade von Lüchtringen her heranhumpelte, keuchend unter einem schweren Bündel; – ein altes Judenweib, unter dem Namen Kröppel-Leah dem Pöbel zu Huxar wohlbekannt, doch hochangesehen bei ihren Glaubensgenossen … 

Mit tiefen Knicksen und schüchternen Verbeugungen näherte sich die Greisin dem greisen Benediktinermönch, der aber neigte das Haupt, winkte mit der Hand und sagte: „Der Gott Abrahams knöpfe dem Schlingel da drüben die Ohren auf. Tretet heran, Frau; werft Euer Bündel ab und setzet euch. Um uns beide rührt sich der liederliche Bursch fürs erste noch nicht.“ (…)

„Um einen Mönch und ein altes Weib tuʾ ich keinen Zug am Seil“, brummte Hans Vogedes, der Fährmann, und räkelte sich auf seiner Bank von der linken auf die rechte Seite; und die Bürgerwacht unter dem Torbogen lachte in choro und stimmte ihm ganz und gar bei. (…)

Sie warteten ruhig ab, daß das Schicksal ihnen den dritten Mann sende, um den Hans Vogedes vielleicht wohl fahren mochte; und dieser dritte Mann erschien jetzt wirklich … auch ein alter Mensch, hochgewachsen, dürr, im schwarzen Rock und Untergewand, weitbeinig und energisch-eilig – Ehrn Helmrich Vollbort, der Pfarrherr der lutherischen Kilianikirche zu Höxter … als er die stattliche Gestalt des Benediktiners an der Fährstelle zu Gesichte bekam, mäßigte er seinen Schritt; jedoch nur für die kürzeste Weile, dann sofort trat er um so kräftiger auf und heran und grüßte kurz und schweigend. Höflich erwiderte der Bruder Henricus den Gruß; die Judenfrau erhob sich mühsam von ihrem Sitze und knickste. (…)

Der Fährmann stand auf, reckte sich, gähnte, stieg in sein Schiff und griff nach dem Seil. Schwer arbeitete sich der Schiffer mit seinem Kahn gegen die mächtig drängenden, winterlich geschwollenen Fluten an, hinüber zum andern Ufer. (…)

Mit einer höflichen Mützabziehung und einem Kratzfuß lud Hans Vogedes den lutherischen Geistlichen ein, einzusteigen. Den Mönch von Corvey, den Bruder Henricus, grüßte er auch, doch um ein bedeutendes förmlicher. Was die alte Jüdin anbetraf, so machte er selbstverständlich Miene, vom Lande wieder abzustoßen, ohne sie mit nach Höxter hinüberzunehmen. Der Mönch aber hatte ihr für ihr Geld zu ihrem Rechte verholfen, zu einem Sitze im Kahn, und auch der Prediger von Sankt Kilian war zugerückt, um ihrem Bündel Platz zu machen.“ Aus: Wilhelm Raabe, Höxter und Corvey. Eine Erzählung (1873/74)